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#2 CD28 OGIERMANN  
#1 CD23 reMI: Error_04   ->

CD23 reMI: Error_04

Author: reMI
Datum: 2004/02/06 11:49:29 GMT+1

Es handelt sich um einen Kompositionsauftrag für das Ensemble Zwischentöne
(in Auftrag von Peter Ablinger - künstlerischer Leiter des Ensembles) im Zusammenhang mit dem Konzept-Musik-Festival im September 2003 in der Akademie der Künste Berlin. Und einer CD-Produktion für den Lable tonto (Verein zur Förderung von elektronischer Musik), welche auch Stücke der Postproduktion beinhaltet (tonto Nr. 23 -error_04-).
Nähere Informationen dazu unter:
http://www.ensemble-zwischentoene.de/index.html
http://www.adk.de/

1.0 Abstract

Das Stück handelt von Identifikation, Information und Desinformation, Zwischenspeicher, Lautsprecher, Mikrofone und Computersysteme.

Die Daten, welche im System verarbeitet werden, sind einerseits wahllos aus dem Internet gegriffene "rohe" IP-Pakete die als reine Signale fungieren und andererseits eine Datenbank, bestehend aus Kompositionen (komponierten Klangmaterial der Interpreten).
Mittels shell-scripts und/oder gcc wurde Sniffit so verändert, daß es möglichst große Mengen an Daten sammelt, die dann in Signale transformiert werden. Sniffit ist eine Standard Hacker Software.
Der Capturing Server hängt an einem hochfrequentierten Netz und saugt Daten, transformiert sie in Signale und triggert die aus Kompositionen bestehenden Datenbank.
Die Datenbank komponiert mittels Impulsen.
Impulse als digitaler Verkehr, als Puls einer Stadt.
Automatisierte Scanner (unter PureData  open source software), welche die Kompositionen abtasten und wiedergeben und damit den Input, die akustische Notation für die Interpreten liefert.
Der PD-Patch generiert Stereo Outputs, welche mittels Kopfhörer den Interpreten sieben unterschiedliche Kompositionen vorspielt.
Der Zuhörer hört nicht was der Interpret hört.
Der Interpret agiert nun als Zwischenspeicher des eigenen transformierten Materials und fragmentiert, erinnert, zerstückelt und spielt Teile des Signals.


Diese Signale werden mikrofoniert und über einen vorprogrammierten digitalen Mixer auf den Lautsprechern ausgegeben.
Der Mixer und die Interpreten synchronisieren über eine vorgegebene Zeitskala, wobei sich die Intervalle stetig verkürzen und zu einem immer schneller werdenden Stakkato/Overload führen.

Dieses zerstückelte Splitterwerk von Informationen arbeitet mit digital erzeugten Fehlern. Theoretisch handelt die Komposition vom Hinterfragen und Dekonstruieren statischer Vorbilder und vom Lockern oder besser Aufbrechen festgefahrener, veralteter Bewußtseinsstrukturen in Sachen Erinnern.
Daher soll die Komposition von den Interpreten so weit wie möglich emotionslos in einem operativen Sinne gespielt werden.


1.1 Datenbank und Kompositionen

Bei der Datenbank geht es hauptsächlich um das Erstellen von Kompositionen,
welche den Interpreten als akustische Notationen dienen.
Es geht um Spielbarkeit, Reaktion und Zwischenspeicher.

Das Erstellen des Ausgangsmaterials erfolgt durch die Interpreten. Beim Zweiten Schritt wird das Klangmaterial durch fehlerhafte Geräte soweit zerstört, daß vom Originalmaterial so gut wie nichts mehr hörbar ist. Die übriggebliebenen Bruchteile werden einem Computersystem zugeführt. Extremes Filtern des Klangmaterials, sowie tief- und hochfrequente Klänge stören die Übertragungsprozeße und werden nicht immer vollständig von den digitalen Aufnahmegeräten erfaßt.
Das Klangmaterial wird reorganisiert und komponiert.
Es erfolgt ein Einstudieren der Kompositionen durch die Interpreten. Die Aufzeichnung dessen liefert die eigentlich spielbare Notation. Sequenzen werden nun ein zweites Mal reorganisiert und schließlich zur eigentlichen akustischen Notation komponiert.
Diese Kompositionen bilden die Datenbank.


1.2 Datenbank und PD-Patch

Der PD-Patch empfängt Signale, strukturiert und generiert Kompositionen.

Getriggert durch die hereinkommenden IP-Pakete als Signale, tasten automatische Scanner die Kompositionen ab und komponieren für die Interpreten die Online-Komposition aus der Datenbank. Die Scanner sind durch die PD-Steuerung programmierbar.
Das bestimmen der minimalen und maximalen Scan-Zeit in Sekunden über einen Zeitraum von ca. zwanzig Minuten ermöglicht den genauen Ablauf des Stückes.

Weiterhin sorgt die Steuerung für den Verlauf der Samples über die Zeit und die Initialisierung der Abweichung vom Verlauf.
Eine Regulierung des Datenstroms durch Speed-Limiter ist vorgesehen.
Zeitanzeigen im Scanner vom Sample-Ort, der aktuellen Spiellänge und einer Clock geben Auskunft über momentane Event-Aktivitäten.


1.3 Interpret, Mikrofonierung, Mixer und Lautsprecher

Die zustandekommenden Verzögerungen zwischen Scan-Signal, Interpret
(als Zwischenspeicher) und dem Output über die Mikrofone zum digitalen Mixer hin, sind berücksichtigt.
Die Interpreten hören die Scan-Signal-Kompositionen via Kopfhörer, geben Teile des Signals über die Instrumente wieder und generieren über die Mikrofonierung den Input für den digitalen Mixer. Die sieben bis zwölf mikrofonierten Spuren werden vom Mixer auf acht aktiven Lautsprechern ausgegeben. Die Programmierung des Mixers arbeitet mit dem Verlauf des Stückes. Der in Intervalle aufgeteilte Verlauf synchronisiert den Mixer und die auf Papier notierten Angaben zur Klangfarbe und Dynamik der zu spielenden Instrumente. Bei den automatisierten Vorgaben für den Mixer handelt es sich um dynamische Einstellungen der Aussteuerung und der Klangfarbe innerhalb der Intervalle.
Synchronisiert wird über eine vom Mixer gesteuerte Stoppuhr.


1.4 Installation, Observierung und Konzertsituation

Die Daten, welche im System verarbeitet werden sind akustische Daten die sich als visuellen Daten repräsentieren.
Parallel zu den Schnittstellen oder Intervallwechsel in der Komposition werden Bildsequenzen in Echtzeit generiert. Die visuelle Komposition soll abstrakt bleiben und sich auf unterschiedlichste Weise mit dem Thema Fehler auseinandersetzten. Fragmente von Bildern und Wortfetzen sind dabei erlaubt, aber immer mit der Absicht zu dekonstruieren.
Das direkte Bezugnehmen der computergenerierten Bilder auf die Onlinekomposition und die Konzertsituation in denen sich die Interpreten wiederfinden simuliert eine virtuelle Realität. Die Interpreten agieren hinter einem langen, durchsichtigen Plastikvorhang und können nur mehr schemenhaft wie Siluetten vom Rezipienten wahrgenommen werden. Eine unkonventionelle Anordnung von acht aktiven Lautsprecher im Konzertsaal und die Übersetzung vom analog Eingespielten zum fragmentierten Digitalen erzeugt ein dichtes Klangnetz. Im Zusammenspiel, beziehungsweise der Wahrnehmung von Geräusch, Klang und bewegten Bildern entsteht durch Vielfalt und Synchronität eine Überlastung, ein Error im virtuellen Raum.





3.0 Interpreten und Instrumente

HANS-ULRICH ALTENKIRCH, Vibraphon (mit Bogen gespielt)
RENATE OBLAK, Echtzeit Videocomputer
ELLEN FRICKE, Stimme
KURT KÖNIG, Schlagzeug (Tam-Tam, Paiste Becken und 20 Becken mit Löcher, Cortales: A#7, A6, D#6, Bb)
DOROTHEE SPORBECK, Flöte und Riccolo Flöte
HELLES WEBER, Akkordeon
noch zwei weitere Stimmen vorzugsweise Violine und Stimme

HANS-ULRICH ALTENKIRCH, Vibraphon
Geboren 1957 in Berlin, Arzt und Gestalttherapeut. Als Laienmusiker viele Jahre dem Jazz verbunden. Unterricht bei Manfred Burzlaff (Vibraphon) und Heinz von Moisy (Schlagzeug). Mehrjährige Fortbildung an der Freien Kunstschule Berlin. Seit 1992 im Ensemble. Teilnahme an visuell-akustischen Projekten.
Verwendet Musik in der Psychotherapie.

RENATE OBLAK, Echtzeit Videocomputer
Geboren 1972 in Villach, Video\Film Künstlerin.
1986-91 Höhere Bundeslehranstalt für Mode und Bekleidungstechnik in Villach, Matura. 1992-93 Studium der Ethnologie und Sanskrit an der Universität Wien. 1994-98 Abteilung Kostüme im Theater an der Wien 1990-96 Malerei seit 1996 Schwerpunkt Sound/Video/Computerkunst. Lebt und arbeitet seit 1998 in Graz/AUT und Zeist/NL. 2002 Kunstpreis des Landes Steiermark (Arbeitsstipendium).

ELLEN FRICKE, Stimme
Linguistin, Schauspielerin und Autorin im Bereich Lyrik, Kurzprosa, Hörspiel und Sprachkomposition. 1996-97 Stipendiatin am Graduiertenkolleg Kognitionswissenschaften in Hamburg, derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Fachgebieten Germanistische Linguistik und Semiotik an der TU Berlin. Seit 1988 Sprecherin und Sängerin im Ensemble Zwischentöne; mit dem Ensemble zahlreiche Uraufführungen von Werken zeitgenössischer KomponistInnen. Werke 1998-2000: Babel 1, Sprachkomposition für drei Stimmen;
Der Eigensinn als blinder Passagier (Radiokomposition, zusammen mit Claus-Henning Bachmann und Gösta Neuwirth); Les Jeux à Deux (Hörspiel nach Texten von Unica Zürn, zusammen mit Inge Morgenroth); Linksrechtslinks, für 2 Spieler an Studiotonbandmaschinen, Tuba und kleine Flöte.

KURT KÖNIG, Schlagzeug
Der Schlagzeuger Kurt König ist 1955 in Trier geboren. Er studierte bei Karl Peinkofer in München und an der dortigen Jazzschule. Er spielte, sang und schauspielerte in einer Rock-Theatergruppe und spielt in verschiedenen Jazz- und Rockformationen.


Bei seinen eigenen Konzepten geht es ihm um die musikalische Gestaltung von Innen- und Außenräumen. Diese verwirklicht er u. a. mit der Performancegruppe "L'Autre Pas", z. B. bei 2 x 6 Wege in Situ am Pfefferberg, Quadratur III, dem Tanzvideo Der graue Keil in Zusammenarbeit mit der Tanzwerkstatt Berlin, oder mit Groscht u. a. in Der Zeremonienmeister. Hierzu gehört auch die Zusammenarbeit mit Tänzern und Choreographen. So arbeitete er u. a. für das Tanzfest "Tanz im August" mit den Choreographen Klaus Abromeit, Luisa Casiraghi, Lucinda Childs, Regina Baumgart, Reinhild Hoffmann und Joel Liennel. Er arbeitet als Musikpädagoge mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Behinderten. Ist seit 1991 Mitglied des Ensemble Zwischentöne.

DOROTHEE SPORBECK, Flöte
Flötistin und Flötenlehrerin. Geboren 1963. Nach der Arbeit in Behinderteneinrichtungen musiktherapeutische Ausbildung begonnen, dann aber Studium an der HdK Berlin (Hauptfach Querflöte bei H. Donderer und Prof.
E. Töttcher). Nach Abschluß 1991 Stipendium für musikwissenschaftliche Studie "Zum Anteil der Frauen an der Privatmusikerziehung in der zweiten Hälfte des 19.Jh. am Beispiel der Amalie Joachim": Materialsammlungen, Vorträge, Gesprächskonzerte. Freiberuflich tätig in verschiedenen Ensembles u. a.
"Os Batutas virtuais" (brasilianisches Choro- Ensemble), Zusammenarbeit mit Märchenerzählern (Geschichten- und Märchenprogramme mit "klassischer" Musik).

HELLES WEBER, Akkordeon
studierte Tonmeister an der HdK Berlin und ist seitdem als freier Tonmeister und Musiker in verschiedensten Bereichen tätig.

3.1Gespielte Werke des Ensembles

(* ): Dieter Schnebel, Gösta Neuwirth**, Gisela Klein*, Mauricio Kagel, John Cage, Christos Kokkolatos*, Angela von Moos***, Franz Martin Olbrisch*, Gerhard Müller-Goldboom, Roman Haubenstock-Ramati, Peter Ablinger***, Klaus Lang**, Chico Mello, Helmut Lachenmann, Karlheinz Stockhausen, Steve Reich, Nader Mashayekhi***, Georg Nussbaumer***, Inge Morgenroth*, Barbara Monk Feldman, Björn Wilker, Jakob Ullmann, Christian Wolff**, Helmut Zapf**, Ellen Fricke***, Morton Feldman, Sven-Åke Johansson***, Johannes Bauer**, Maria de Alvear**, Pauline Oliveros*, Walter Zimmermann*, Alvin Lucier*, La Monte Young, Martin Supper*, Juliane Klein*, Isabel Mundry*, Vinko Globokar, Tom Johnson, James Tenney, George Brecht, Robert Ashley, Daniel Ott*, Orm Finnendahl*, Stefano Giannotti*, Michael Hirsch*, Hauke Harder*, Antoine Beuger*, Benedict Mason*, Robin Hayward*, Rolf Julius*, Sergei Zagni*, Sergej Newski*, Natalia Pschenitschnikowa*, Zeitblom*, Akio Suzuki*, Makiko Nishikaze*.





4.0 Text von Christian Scheib über reMI (Renate Oblak, Michael Pinter)

Geometrie und Schrift sind die mittelbaren Medien der Wissenden. Das Unmittelbare von Bildern konstituiert im Gegensatz dazu eine Sprache der (beinahe) Voraussetzungslosigkeit. Von zB Giotto in Padua zu zB Spielberg in Hollywood reicht eine Traditionslinie der Unmittelbarkeit respektive des Pop, die in der Rezeption nicht auf Materialität und Herstellungsart rekurriert, sondern auf Symbolkraft und Übertragungsleistungen. Das andere Ende der Skala ließe sich von zB frühmittelalterlicher Grisaille oder islamischer Geometrie zu zB James Turrells Farb- oder Lanschaftsabstraktionen verfolgen und vedankt seine Art der Unmittelbarkeit eben nicht dem Spiel mit den Abbildern der Welt, sondern dem Spiel mit der Abwesenheit, mit dem Entzug des (vermeintlich) realen Wirklichkeitsbildes und seiner Ersetzung durch geometrische (De)Konstruktion.
Die Videomusikarbeiten des Duos reMI  Renate Oblak, Visuelles, und Michael Pinter, Akustisches  besetzen in der Terminologie der eben geschilderten Perspektive die paradoxe Position eines Pop für Wissende. Damit sind sie nicht allein, im Gegenteil, es ist nachgerade konstituiv für die Musik und Videoszene der letzten Jahre, diese Nischen zu entwickeln und zu besetzen. Einzigartig aber ist die Radikalität, mit der reMI die Materialhaftigkeit, die gedanklich konstruktive Ausgangsposition verbinden mit der Direktheit der Wirkung und der Erzeugung von ikonenhafter Symbolkaft. Permanent den abgebrochenen Zeilsprüngen gescheiterter Rechenleistungen und dem dennoch darin noch enthaltenen Restrealen  Codes aus Zahlenkolonnen oder wie zufällige Fundworte  ausgeliefert zu sein, läßt genau diese Symbiose wiederum zu Symbolhaftem werden. Das Entziehen der realen Bilder und Zurverfügungstellen der geometrischen Dekonstruktion ermöglicht bei reMI paradoxerweise die Übertragungsleistung der Produktion eigener Ikonen  die Mittelbarkeit der Wissenden die Unmittelbarkeit des Realen. Die rasende Zeilensprungeometrie der Videobilder Renate Oblaks und die rabiaten Tonfragmentationen der Musik Michael Pinters verweigern die Abbildung (oder Verfremdung) der ohnedies sichtbaren Welt, sie konfrontieren uns statt dessen mit einer eigenen, intensiven, künstlichen, technoid wirkenden Welt, deren Ursprung aber das lustvolle Scheitern ist. Technisch gesehen haben Bild und Musik ihren Ursprung in Bildern, in den Unregelmäßigkeiten und Fehlern der während der Arbeit an diesen Bildern an den Rand des Scheiterns gebrachten Maschinen, sowie der Umwandlung dieses gewonnenen Ausgangsmaterials in das letztlich Sicht- und Hörbare. Darin hat dieses entscheidende Zusammenspiel von Wissen und Unmittelbarkeit seinen Grund, diese Gleichzeitigkeit von Bilderverbot und Übertragungsleistung.


Entstanden im Klangatelier Algorythmics
Leitnergasse 7/5 8010 GRAZ
Tel. 0316/821451/33 remi_AT_algo.mur.at http://remi.mur.at/

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