<br><b>Der Weg ist das Ziel</b>
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Begonnen hat alles eigentlich schon 1994. Der Computer als Produktionsmittel beginnt sich als ästhetische Institution hierzulande durchzusetzen und greift dadurch auch das klassische Bandformat massiv an. Auf diese Individualisierung will man reagieren: Über mehrere Stationen wie tape-releases und das Tonto-radio beginnt sich Tonto erst 2001 als seriös betriebenes Labelprojekt schärfer zu konturieren.
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Die Gründe, warum dieser Etablierungsprozess erst jetzt Gestalt annimmt, sind wohl vielfältig. Die Frage, ob es eine bewusste Strategie der Zurückhaltung gab, oder ob es sich einfach um eine dezent desinteressierte Nonchalance handelt, beantwortet Labelgründer Helmut Kaplan mit: »Es wird wohl eine Mischung aus beiden Faktoren gewesen sein«. Aber es geht auch, laut Tonto-Mitarbeiter Thomas Ballhausen,»um einen Widerstand gegen kunstzerstörenden Marktliberalismus«.
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<b>Die Struktur macht die Musik/ Pars pro toto </b>
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Das Label selbst versteht sich als Künstlerkollektiv, das mehr oder weniger stark auf dem Fundament der Bildenden Kunst fußt. Das wird nicht zuletzt durch den autonomen und vollwertigen Teilbereich der Comics, für den die Künstlerin Edda Strobl verantwortlich zeichnet, transparent. Und: In den Räumen der Kunst zu agieren wird nicht als prinzipielles Anliegen formuliert, aber als legitime Möglichkeit der Präsentation sehr wohl wahrgenommen.
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Aufbau und Struktur des Labels versteht sich als organisch. Dessen Ziel ist es nicht, in kalkulierter Art und Weise und unter Berücksichtigung markttechnischer Trends neue Künstler zu rekrutieren, sondern jeder Aktive stellt einen Verknüpfungspunkt zu neuen und für Tonto relevanten Acts dar. »Es gibt keine Berührungsängste oder Genrezwänge, wichtig ist die Vermeidung von Marktforschungsstrategien«, meint Tonto-Musiker Robert Lepenik. Die Veröffentlichungspolitik will man als basisdemokratischen Prozess betreiben. Das ist als Vorgehensweise sicher lobenswert, ob es aber in der pragmatischen Umsetzung funktioniert, darf, auch aufgrund der Größe des Kollektivs, bezweifelt werden. Nichtsdestotrotz will man, laut Ballhausen, das Gesamte hervorheben: »Die Berührung mit dem Kontext von Tonto betont also nicht die Auswahl der Arbeiten sondern die integrative Kraft der Reihe«.
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<b>Corporate Identity</b>
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Diese strukturelle Organisation schlägt sich natürlich auch in Form und Inhalt nieder: Das Cover �Artwork vermittelt einheitliche Signifikanz, das Frontbild wird von den Musikern individuell ausgewählt, die CDs sind vorgepresst, die Veröffentlichungsnummer wird aber per Hand aufgetragen. Die einzelnen Releases sind dezidiert als Reihe erkennbar und zu verstehen »deren roter Faden weniger im Genre besteht, als im Wunsch nach Entdeckung,....« schrieb Lepenik im Info-booklet des Labels.
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Damit wird auch schon das inhaltliche Anliegen umschrieben: Der experimentelle Charakter ist ein wichtiger Teil des Unternehmens, aber nicht zwingend notwendig. Corporate Identity ist die logische Konsequenz des Bemühens als wachsendes Gesamtkunstwerk wahrgenommen zu werden. Das Arbeitsumfeld darf und soll in den Arbeitsprozess einfließen.
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<b>Das Produkt als Teil eines Gesamtenvironments</b>
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Wo befinden wir uns eigentlich stilistisch wenn hier von der Vermeidung von Genrezwängen die Rede ist: Für den mit Pop sozialisierten Hörer lässt sich im Gesamten natürlich eine Tendenz zu Minimal-Electronica und Soundforschung abseits von klassischer Eingängigkeit feststellen. Unterhalb dieser Oberfläche lassen sich aber sehr wohl, manchmal sublim, manchmal offensichtlich, pophistorische Genres ausmachen. Deshalb umfasst das Spektrum, innerhalb des Kosmos der experimentellen Elektronik, harsche Dub Ansätze (Posch/Tonto#5), zersplitterten Noise-Rock (Reas/Tonto#11), ambienteske Gelassenheit (Lepenik/Tonto#6) oder fragmentarische Soundanordnungen (reMI/Tonto#10). In manchen Momenten könnte der Cineast auch eine Soundtrackkompatibilität diagnostizieren, wenn auch nicht für hollywoodsche Blockbuster, was aber ohnehin nur ein Kompliment sein kann.
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Den Projekten gemein ist auf alle Fälle eine nicht selbstzweckhafte Sperrigkeit im besten Sinne. Zur weitläufigen Meinung, »Computermusik« dieser Art vermittle eine Form von Kälte, seien zwei Dinge gesagt: Erstens arbeiten wenige der Tonto-Musikschaffenden mit ausschließlich computergenerierten Sounds, sondern vielfach mit analogem Material (deshalb ist auch der Vergleich mit Mego nicht stimmig), zweitens besitzen die Tracks, auch in den ruhigen Momenten, einen zu hohen Grad an Expressivität und positiver Aggression um diesem Vorwurf gerecht zu werden. Weiters bemüht man sich soundtechnisch um Dichte und einer teilweise auch wärmevermittelnden Mulmigkeit, nicht zuletzt dank der Postproduction von Winfried Ritsch.
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<b>From Music to Comics</b>
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Grundsätzlich handelt es sich bei den Comicentwürfen um Tuschezeichnungen, die nichts beschönigen, denen einen gewisse Tristesse innewohnt, die durchaus auch einen bedrohlichen Charakter entwickeln können und deren narrative Linie schwierig zu erschließen ist.
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Wenn auch die Verbindung von Musik und Comics auf den ersten Blick als eher ungewöhnlich erscheint und im Umkreis der Produktionen vergleichbarer Labels selten ist, war der Schluss für Tonto ein nur logischer. Das Ganze hat seine Ursprünge auch in einer Poptradition: Wie Raymond Pettibon schon als Zeichner für das legendäre US-amerikanische Label SST tätig war und etwa die Cover von Sonic Youth-Alben gestaltete, wird hier genauso eine ideelle Verknüpfung angestrebt, wenn auch beide Zweige für sich Autonomie beanspruchen.
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Gemein ist den beiden Unternehmungen die Affinität zum Experiment, ihre roots haben die Comics in der US-amerikanischen Independent-Szene der Achtziger.
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Zum wirklichen Kurzschluss kommt es dann bei Live-Performances: Das musikalische Setting wird um die hauseigene Bildproduktion erweitert, mittels »Video oder großformatiger Prints«.
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<b>Standorttechnische Identität</b>
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Da eine grazspezifische Popidentität durchaus ausbaufähig ist, um es mal diplomatisch zu formulieren, ist es natürlich von Interesse, welche Rolle Tonto in diesem Prozess spielen kann und will. Die Antwort ist einfach: nämlich keine. So lautet zumindest die Intention des Labels. Was es schlussendlich an Bedeutung für Graz haben könnte, ist in seiner Gesamtheit natürlich nicht steuerbar. Es handelt sich bei diesem Umstand aber keinesfalls um Arroganz oder Verweigerung, sondern um eine konzeptuelle Ausrichtung, die ihre Ursprünge in der gewünschten Weitervernetzung des Projekts hat. Soll heißen: Musiker und Künstler aus aller Herren Länder sind nicht nur willkommen, sondern dezidiert erwünscht.
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<b>Future now</b>
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Auch in Zukunft möchte Tonto eine allzu strategische Planung vermeiden und die Dinge eher dem kollektiven Prozess überlassen. Geht die Rechnung auf, ist dieser Entwurf, solange Tonto existiert, möglicherweise ein quasi nie enden wollendes Puzzle, in dem jedes neue Teilchen das bislang bekannte Antlitz in ein neues umformt.
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Einen besseren Ansatz, um sich ein größtmögliches Feld an Möglichkeiten freizuhalten, gibt es eigentlich nicht. So wird versucht, der Musik und der Kunst jene Freiheit und Fluktuation zu gewähren, die sie eigentlich benötigt um sich von gängigen Mustern zu befreien und vielleicht neue zu schaffen.
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In diesem Sinne: Future now und niemals zurückblicken. Und weil es jetzt so überhaupt nicht passt, aber im Hinblick auf Minimalismus doch seine Berechtigung hat, wollen wir an Woody Guthrie denken: »Wer mehr als drei Akkorde verwendet, ist ohnehin ein Angeber«.
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<b>CD-Releases</b>
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#1 Kaplan: »Wave Mash Target« (1998)
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#3 Posch: »Jakomini Rue« (1999)
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#4 Coop: »Moped« (1999)
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#5 Posch: »Gruen Anger Rudeboy« (2000)
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#6 Lepenik: »Atoll K.« (2000)
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#7 Lang: »A Room Full Of Shoes« (2001)
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#8 Heinrauch/Klöckl/Mattersdorfer: »Dip Ling« (2001)
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#9 Lepenik: »If You Dig Syd, Dig For Syd« (2001)
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#10 reMI: »Geist Der Utopie« (2001)
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#11 Reas: »Reas« (2001)
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#12 Laleloo: »Same« (2001)
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#13 reMI: »Vincit Veritas« (2001)
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#14 Math/Zeininger: »Tempest« (2002)
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#15 Reflector: »Flugangst« (2002)
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<b>Comic-Releases</b>
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#0 Strobl + Kaplan: »Genossen«
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#1 Gmeindl/Stecher: »Ja, großer Meister«
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#2 Ballhausen: »Alien(n)ation: A Displaced Person« (2002, in Vorbereitung)
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<b>Vertrieb:</b> Trost, <a href="http://www.trost.at" target="_blank">www.trost.at</a>
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<b>Weiters erhältlich über:</b> <a href="http://www.mego.at" target="_blank">www.mego.at</a>
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<b>Netz: </b><a href="http://www.tonto.at" target="_blank">www.tonto.at</a></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br></br>