Verlust: INMITTEN: Sturmlauf
Die folgenden Ausführungen werden nicht zuletzt auch annähernd so komplex wie die sich eröffnende Realität " so wie ich Tonto erfahre und erlebe " sein, stellt sich doch die Unmöglichkeit einer linearen Chronik ein. Vielmehr gilt es, den vielleicht auch SPERRIGEN Versuch zu wagen, sich dem Projekt, gemäß der verstreuenden Ausbreitung, in sich verjüngenden und schließlich erschöpfenden Ansätzen anzunähern. Eine Finte, die sich als Beteiligter in kurzer Zeit wohl nicht mehr eröffnen wird, geht mit dem Verlust der Distanz doch auch ein Näherungswert von >Objektivität< verloren; nicht zuletzt deshalb bietet sich der Umweg von Annäherungen in Ansätzen, deren Scheitern in ihrer Beschaffenheit bedingt ist, an. Scheitern, Abbrechen und Verstummen werden somit zur Bestätigung des Erfolgs dieser Strategie einer Abwärtsbewegung. Further down the spiral: immer weiter hinab führt das schützende Gewirr, wobei man der Ansätze zwangsläufig und gerne verlustig geht. Wir finden hier Postmoderne in einer konsequenten Praxis umgesetzt; nicht zuletzt deshalb wird sich das Phänomen einer letzt- und endgültigen Beschreibung, oder gar Interpretation, endgültig entziehen.
Die Beschaffenheit wurde zuvor schon kurz erwähnt, auch die Ausbreitung, ein "stehender Sturmlauf" (Kafka), bereits angedeutet, wenn nicht sogar vorweggenommen. Dieses, bei manchen eventuell sogar ein Stirnrunzeln erzeugende, Hinabstürzen in den Kaninchenbau der Komplexität gibt den Blick auf zwei miteinander verbundene, hier sogar regelrecht aneinander gekettete Wesenszüge frei: die Polysemie, die inhaltliche Polyvalenz einer Form, und die Dissemination, der sinnverstreuende Prozeß einer andauernden Differenzierung, Ersetzung und Auflösung. Durch die daraus resultierende Unmöglichkeit, einer Form einen festen Inhalt zuzuordnen, kristallisieren sich für Tonto die Polysemie als Programm, und die Dissemination als Technik heraus. Für die vorgenommene Annäherung muß die Dissemination zumindest teilweise aus ihrer Derridaschen Begrifflichkeit entlehnt und für diesen Bereich sowohl reklamiert als auch etabliert werden. Im nicht endenden Spiel der Zeichen, das mit dieser "Entzweiung" (Zapf) einhergeht, ist ebenso eine Möglichkeit der Bedeutungssetzung wie auch der Bedeutungslöschung möglich. Das Entstehen der Bedeutungen, es können und werden zumeist derer mehrere sein, durch Wechselbeziehungen mit allen Bereichen von Schrift und Kultur: die SAAT der Dissemination geht auf.
In der Ernte des Ungewohnten stellt sich wohl auch die Frage nach dem grundlegenden Tonto-Ansatz, und wo er sich hinbewegt hat, oder genauer: wo reicht er hin, ohne sich von einer diffusen Struktur INMITTEN zu entfernen. Dabei bleibt aber zu betonen, daß eine unbedingte Notwendigkeit " sozusagen eine BEDINGUNG " einer Entwicklung ebensowenig vorliegt, wie ein punktuelles Zentrum. In dieser >Bewegung< gilt uns das Zeichen eines Übergangs und andauernden Bewegung, welches sich uns als Ausdruck von Kultur präsentiert, als Realität. Es ist eben kein Umgehen mit einer beschönigenden Konstruktion derselben; vielmehr ein Darauf-Zurückgeworfen-Sein, auch als Möglichkeit der Konfrontation: hier greifen nun Ecos Überlegungen einer semiotischen Guerilla. Die Indienstnahme der Zeichen, der Möglichkeiten, der erfassten Wirklichkeit und ihrer Ausformungen lädt zur kreativen Neuverwendung und Belegung mit eigenen Inhalten ein. Sich parasitär und auch subversiv am vorhandenen Potential bedienen, eine regelrechte Renovierung der Instrumentarien durchzuführen, erweist sich im gelungenen Versuch jenseits einer metastatischen Interpretation anzustecken: "You can infect people with ideas" (W. Ellis)
Polyphonie: Intermedialität: Katapult
In dieser Position soll aber keine Erzeugung eines ausschließlich verwertbaren Produkts betrieben werden. Hier läßt sich Tonto in die Nähe des US-Kritikers Hal Foster rücken, beschreibt dieser doch in der Einleitung zu der von ihm herausgegebenen Anthologie "The Anti-Aesthetic" (1983) zwei Varianten der Postmoderne: eine Variante erweist sich in ihrer selbstgewählten Marktnähe und scheinbaren Subversivität als klare Komplizin der gegenwärtigen kapitalistischen Tendenzen. Diesem Einbruch des Wirtschaftspragmatischen wird hier auch noch Vorschub geleistet; mit dem Reklamieren einer vermeintlichen Gegenposition ergibt sich nicht nur eine beträchtliche ästhetische Differenz " ein wahrer ABGRUND, wenn man so möchte " sondern auch eine Umsetzung einer rückgratlosen Un-Ethik. Alles wird käuflich, PROFIT: over and out. Dabei steht dann eben nicht mehr der individuell zugemessene Wert im Mittelpunkt der Diskussionen, sondern eben eine Bezifferung, ein inventurmäßiger Ausdruck, der seine Entsprechung ausschließlich in klingender Münze sieht.
Dieser zweifelhaften Auffassung stellt Foster eine zweite Möglichkeit zur Seite, die sich auch für Tonto nachvollziehen läßt. Diese findet sich in der Position einer Widerstandes gegen kunstzerstörenden Marktliberalismus, hinter diese " im vorliegenden Fall " dann etwa der reine Labelgedanke zurücktritt.
In den Ausformungen der musikalischen Projekte finden wir erneut die Polysemie, die sich hier auch als Polyphonie präsentiert. Es gibt also unterschiedliche Zugänge, aber keine Notwendigkeit der strikten und begrenzenden Definition, keine Auflagen. Somit sind auch keine abgeschlossenen Positionen vorhanden: vielmehr kommt es zu vielschichtigen Reflexionen, machen die Arbeiten der jeweiligen Künstler das Experiment transparent. Die Berührung mit dem Kontext von Tonto betont also nicht die Auswahl der Arbeiten sondern die integrative Kraft der Reihe.
Dieses Element findet sich auch im Bereich der Comics wieder: hier scheint ja eine beinahe schon traditionelle Verbindung zur Musik vorzuliegen, doch geht im vorliegenden Fall die Wechselbeziehung " sowohl in der Produktion, als auch in der Rezeption " weit darüber hinaus. In der montagehaften Verbindung von Bild und Text werden die Grenzen des experimentellen Feldes nicht nur überschritten, sondern auch erweitert. Die dazugehörige Webseite erweist sich hier als Plattform für eine Auseinandersetzung, der eine besondere Bedeutung und Wichtigkeit zukommt. In diesem Austausch kommt es idealerweise zu Reaktionen und Interaktionen. So wird der Kommunikationsfaktor noch weiter verstärkt werden; nicht zuletzt auch um die Umsetzung von Intermedialität auch in Zukunft zu gewährleisten.
Der Text ist hier als nicht zu wiederholender Blick anzuerkennen; jeder weitere würde schon eine Differenz enthalten: so darf nicht die Illusion der Vertiefung betrieben, vielmehr die Einmaligkeit der Gelegenheit herausgestrichen werden. So kann ich nicht vor den Beginn dieses Textes zurückkehren, vielmehr wird er mich mit aller Kraft hinauskatapultieren. Die erwähnte Schrift, hier eben: der schriftliche Kommentar, wird dabei auch zum Schutz der Kunst, will also weniger nur als Text, als vielmehr als Rüstung verstanden werden. Je dichter, aber nicht auch zwingend undurchsichtiger, umso besser. Mag man auch den undurchsichtigsten Text zum idealen Schild erhoben wissen, so sollen aber auch transparente Texte, die aufgrund ihres Negativpotentials an Opakheit diese Schutzfunktion zu gewährleisten imstande sind, anerkannt werden. Unabhängig von dieser Qualität des teilweise un/bekleidet, un/beschützt sein, sieht sich auch der vorliegende Text vom positiven Umstand betroffen, nicht die letzte oder endgültige Aussage zu sein. So zerbrechen mir die letzten Sätze, versagt der finale Ansatz: findet auch dieser Text kein Ende.
(Tonto wurde 1994 als Tape-Label gegründet, produzierte mehrere unterschiedliche Releases sowohl von Einzelprojekten als auch von Bandvorhaben. Die grundsätzliche Intention war und ist es, ein Feld zu schaffen, um musikalische Arbeiten vorzustellen. 1998 wurde das Konzept wesentlich weiterentwickelt, etwa mit der Etablierung einer neuen Produktionslogistik, die ein alternatives Umgehen mit dem Material ermöglichte; quasi eine einfache Lösung als Zugang zum symbolischen Objekt. Bisher wurden 8 CDs veröffentlicht, im Sommer 2001 wurde Tonto um den Bereich der Comicproduktion erweitert.)